Dreißig Jahre lang lebte ich in einer Lüge. Ich dachte, ich sei adoptiert worden, von Eltern verlassen, die sich nicht um mich kümmern konnten.
Ich dachte, ich sei unerwünscht gewesen. Doch ein Besuch im Waisenhaus, das angeblich mein erstes Zuhause gewesen sein sollte, erschütterte alles, woran ich geglaubt hatte.
Ich war drei Jahre alt, als es begann. Mein Vater setzte mich aufs Sofa und legte eine schwere Hand auf meine kleine Schulter.
— „Liebling, es gibt etwas, das du wissen musst.“
Ich klammerte mich an meinen Lieblingsstoffhasen und sah ihn mit großen Augen an.
— „Deine richtigen Eltern konnten sich nicht um dich kümmern“, sagte er sanft. „Also haben deine Mutter und ich dich adoptiert, um dir ein besseres Leben zu ermöglichen.“
Sechs Monate später starb meine Mutter bei einem Autounfall. Ich erinnere mich kaum an sie – nur an die Wärme ihrer Stimme und die Zärtlichkeit ihrer Berührungen.
Danach waren es nur noch mein Vater und ich.
Als ich sechs war, hatte ich Schwierigkeiten, meine Schuhe zu binden. Frustriert begann ich zu weinen. Mein Vater seufzte und murmelte:
— „Vielleicht hast du diesen Dickkopf von deinen echten Eltern.“
Als Teenager hörte ich auf, Fragen zu stellen. Einmal bat ich um die Adoptionspapiere – und er gab mir ein einziges Blatt: eine Urkunde mit meinem Namen, einem Datum und einem Stempel.
— „Hier, der Beweis“, sagte er.
Ich starrte darauf, hatte aber das Gefühl, dass etwas fehlte. Doch ich hatte keinen Grund, ihm zu misstrauen. Oder doch?
Die Zweifel wachsen
Dann traf ich Matt.
Er sah Dinge in mir, die andere nicht sahen.
— „Du redest nicht viel über deine Familie“, sagte er eines Abends.
— „Gibt nicht viel zu erzählen“, antwortete ich.
Aber das stimmte nicht. Mein Vater hatte oft von meinen „richtigen Eltern“ gesprochen, als wäre ich ein Ballast, der ihm aufgezwungen wurde. Und dann waren da die tuschelnden Klassenkameraden, die fragten, ob ich wohl irgendwann „zurückgegeben“ werde.
— „Hast du jemals deine Vergangenheit recherchiert?“, fragte Matt.
— „Nein. Mein Vater hat mir alles gesagt.“
— „Bist du dir sicher?“
Diese Frage ließ mich nicht mehr los.
Zum ersten Mal in meinem Leben beschloss ich, die Wahrheit zu suchen.
Die Wahrheit im Waisenhaus
Matt und ich fuhren zu dem Waisenhaus, das mein Vater mir all die Jahre gezeigt hatte.
Meine Hände zitterten, als wir eintraten.
Eine ältere Dame begrüßte uns freundlich.
— „Wie kann ich Ihnen helfen?“
— „Ich wurde hier im Alter von drei Jahren adoptiert“, erklärte ich mit zitternder Stimme. „Ich möchte mehr über meine leiblichen Eltern erfahren.“
Sie nickte und tippte auf ihrem Computer.
Dann sah sie auf – mit einem Gesichtsausdruck, den ich nicht deuten konnte.
— „Es tut mir leid“, sagte sie langsam. „Wir haben keinerlei Unterlagen über Sie.“
Mir blieb die Luft weg.
— „Was?“
— „Sind Sie sicher, dass es dieses Waisenhaus war?“
— „Ja!“ beharrte ich. „Mein Vater hat mich jedes Jahr hierher gebracht. Er sagte, das sei der Ort.“
Sie schüttelte den Kopf.
— „Wenn Sie hier gewesen wären, hätten wir Unterlagen. Aber es gibt nichts. Es tut mir leid.“
Es fühlte sich an, als würde mir der Boden unter den Füßen weggezogen.
Auf der Rückfahrt war es still. Matt war besorgt, aber ich konnte nichts sagen.
— „Geht’s dir gut?“, fragte er schließlich.
— „Nein. Aber ich weiß, wo ich die Antworten finde.“
Die Konfrontation
Als wir bei meinem Vater ankamen, stieg ich entschlossen aus dem Auto und klopfte an die Tür.
Er öffnete – überrascht.
— „Was machst du denn hier?“
— „Ich war im Waisenhaus“, sagte ich zitternd vor Wut. „Sie haben keine Unterlagen über mich. Warum nicht?“
Er schwieg einen Moment, seufzte dann tief und bat mich herein.
Ich wartete nicht lange.
— „Sag mir die Wahrheit. Jetzt sofort.“
Er rieb sich das Gesicht, wirkte auf einmal viel älter.
— „Ich wusste, dass dieser Tag kommen würde.“
— „Wovon redest du? Warum hast du mich belogen?“
Nach einer langen Pause sagte er, mit kaum hörbarer Stimme, die Worte, die meine Welt zerstörten:
— „Du bist nicht adoptiert. Du bist das Kind deiner Mutter… aber nicht mein Kind.“
Mein Herz blieb stehen.
— „Was?“
— „Sie hatte eine Affäre“, gab er bitter zu. „Als sie schwanger wurde, flehte sie mich an zu bleiben. Ich stimmte zu, aber jedes Mal, wenn ich dich ansah, sah ich, was sie mir angetan hatte. Also erfand ich die Geschichte von der Adoption.“
Mir wurde schwindlig.
— „Du… du hast mein ganzes Leben lang gelogen?“
— „Ich war wütend. Ich dachte, wenn du glaubst, du bist nicht mein Kind, fällt es mir leichter, dich zu akzeptieren. Vielleicht würde ich sie weniger hassen. Es war dumm. Es tut mir leid.“
— „Du hast die Adoptionsurkunde gefälscht?“
— „Ja.“
Der Verrat war erdrückend. Die Sticheleien, die Witze, die Besuche im Heim – es ging nie um mich. Es ging um ihn. Um seinen Schmerz. Seine Wut.
Ich stand auf, zitternd.
— „Ich war nur ein Kind. Ich habe das nicht verdient.“
— „Ich weiß“, sagte er leise. „Ich habe dich enttäuscht.“
Matt stand ebenfalls auf.
— „Komm, lass uns gehen“, sagte er ruhig.
Als wir die Tür erreichten, rief mein Vater mir nach:
— „Es tut mir leid! Wirklich!“
Aber ich drehte mich nicht um.
Zum ersten Mal in meinem Leben ließ ich die Vergangenheit hinter mir.
Und diesmal schaute ich nicht zurück.