Alice, die Besitzerin eines bekannten Restaurants, hatte bemerkt, dass ein kleiner Junge jeden Tag kam, um Essensreste abzuholen. Sie hatte das Gefühl, dass er ihr etwas verheimlichte. Eines Tages, getrieben von Neugier, beschloss sie, ihm zu folgen. Was sie entdeckte, verschlug ihr die Sprache.
— „Heute hast du Glück, Kleiner. Wir haben viele Reste, du kannst alles mit nach Hause nehmen,“ sagte Steve, der Koch in Alices Restaurant. Er stellte regelmäßig Essen für Christopher zurück, einen fröhlichen Jungen, der oft im Restaurant vorbeikam.
— „Wirklich? Ist es so viel, dass ich es mit meinen Freunden teilen kann?“ rief Chris, mit leuchtenden Augen.
Chris bedankte sich mit einem breiten Lächeln, winkte zum Abschied und ging fröhlich mit seiner Tüte voller Essen davon.
Alice wusste jedoch nicht, dass dies schon längst zur Routine ihres Lokals gehörte. An diesem Abend, als sie ihn gehen sah, kam ihr ein Verdacht: Was, wenn das Essen gar nicht für ihn war?
Sie beobachtete ihn einige Tage lang, bis sie ihn am dritten Tag wieder im Restaurant sah.
— „Hallo! Bist du wieder da, um die Reste abzuholen?“ fragte sie freundlich.
— „Ja!“ antwortete er begeistert. „Könnten Sie bitte den Koch rufen? Er legt immer Päckchen für mich bereit.“
Alice lächelte sanft:
— „Das ist nicht nötig. Ich habe heute ein frisches Essen extra für dich zubereitet. So musst du keine Reste essen. Wie heißt du eigentlich?“
— „Mein voller Name ist Christopher, aber Sie können mich Chris nennen.“
— „Und warum isst du nicht zu Hause, Chris? Ist deine Mama krank?“
Chris zögerte einen Moment, bevor er antwortete:
— „Eigentlich… ich wohne in einem Waisenhaus. Dort ist das Essen nicht besonders gut. Jedes Mal, wenn ich hierher komme, hilft mir euer Team. Ich bin wirklich dankbar. Aber ich muss jetzt los…“
Etwas an seiner Antwort überzeugte Alice nicht. An diesem Tag beschloss sie, ihm unauffällig zu folgen. Was sie sah, erschütterte sie tief.
Statt zu einem Waisenhaus zu gehen, wie er behauptet hatte, lief Chris zu einem kleinen, bescheidenen Haus. Er stellte die Tüte mit dem Essen vorsichtig auf die Veranda… und rannte davon, bevor ihn jemand sehen konnte.
Ein paar Minuten später öffnete eine ältere Dame die Tür, sah sich erstaunt um, nahm die Tüte und ging wieder hinein.
Alice wollte gerade an die Tür klopfen, um mit der Frau zu sprechen und zu erfahren, wer sie war und wie sie Chris kannte, als sie einen dringenden Anruf aus dem Restaurant erhielt und gehen musste.
Am nächsten Tag kam Alice früh und wartete auf Chris. Als er ankam, sprach er sie direkt an, noch bevor sie etwas sagen konnte:
— „Es tut mir leid. Ich habe Sie angelogen. In Wirklichkeit bringe ich das Essen meiner Großmutter. Sie ist alles, was ich noch habe.“
— „Als meine Eltern starben, konnte sie mich nicht zu sich nehmen, weil sie nicht genug Geld hatte. Sie kann sich kaum selbst ernähren. Deshalb hole ich jeden Tag Essen und stelle es ihr vor die Tür.“
An diesem Tag besuchte Alice die Großmutter von Chris und erzählte ihr die ganze Geschichte. Die alte Dame, deren Name Edith war, war zutiefst bewegt, als sie erfuhr, dass ihr eigener Enkel ihr jeden Tag heimlich Essen brachte.
Gerührt von der Situation ging Alice in das Waisenhaus, in dem Christopher lebte, und begann den Prozess, das Sorgerecht für ihn zu übernehmen. Glücklicherweise verlief alles schnell, und bald konnte Chris wieder bei seiner Großmutter leben.
Bei einem Besuch nahm Edith Alices Hände und sagte gerührt:
— „Ich kann Ihnen niemals genug für das danken, was Sie getan haben. Aber wissen Sie, Sie sind bei uns immer willkommen. Sie gehören jetzt zur Familie.“
Alice lächelte und antwortete:
— „In dem Fall… habe ich eine Bitte an Sie.“
Edith dachte, Alice wolle ihr einen Job im Restaurant anbieten. Doch als sie hörte, was Alice wirklich sagte, liefen ihr Tränen über das Gesicht.
— „Ich weiß, das ist viel verlangt… aber seit dem Tod meiner Eltern hatte ich nie wieder eine Mutterfigur. Und ich wollte fragen, ob… Sie bereit wären, diese Rolle für mich zu übernehmen. Um Chris kümmere ich mich – ich bin jetzt seine Vormundin.“
Edith umarmte sie liebevoll und sagte:
— „Natürlich, mein Schatz. Ich kann dir niemals zurückgeben, was du für uns getan hast. Du bist ein wahrer Engel in unserem Leben.“
Mit Tränen in den Augen flüsterte Alice:
— „Sie müssen sich nicht bedanken. Durch Sie habe ich endlich eine Familie gefunden. Und das ist der größte Reichtum, den ich mir je wünschen konnte.“