Vor zehn Jahren verschwand Nicholas plötzlich aus dem Leben seiner Tochter und überließ sie seiner Mutter Doris. Als er endlich zurückkehrte, erwartete ihn kein Wiedersehen – sondern ein leeres, verfallenes Haus.
Als Nicholas sieben Jahre alt war, hatte Doris Dakkars Ehemann sie verlassen. Von da an war sie alleinerziehend. Sie arbeitete in zwei Jobs, um ihrem Sohn alles zu geben, was er brauchte. Es war schwer – aber sie schaffte es. Niemals hätte sie gedacht, dass sie mit 60 Jahren erneut Mutter spielen müsste. Und schon gar nicht, dass ihr Sohn seiner Tochter dasselbe antun würde wie einst ihr Ehemann.
Nicholas war mit einer wunderbaren Frau, Sandra, verheiratet gewesen. Gemeinsam hatten sie eine Tochter: Paige. Doch Sandra starb plötzlich, als Paige erst neun Jahre alt war.
Nur wenige Wochen nach dem Tod seiner Frau begann Nicholas eine neue Beziehung mit einer Frau namens Donna. Nach sechs Monaten heirateten sie. Doris war entsetzt, wie schnell alles ging. Sie machte sich Sorgen um Paige, die sich immer mehr zurückzog. Doch sie führte es auf die Trauer über den Verlust ihrer Mutter zurück.
Kurz vor Paiges zehntem Geburtstag bat Nicholas seine Mutter:
— „Mutter, kannst du für drei Wochen auf Paige aufpassen? Donna und ich wollen alleine nach Alaska reisen.“
— „Alle Paare brauchen Zeit für sich“, sagte er. „Und Paige ist in letzter Zeit schwierig… Sie ist wütend auf Donna.“
Doris schluckte ihre Enttäuschung herunter und sagte „Okay, Nicky“. Doch sie fügte hinzu:
— „Donna wusste, dass du eine Tochter hast. Eine erwachsene Frau sollte mit dem Schmerz eines Kindes umgehen können, das seine Mutter verloren hat und sieht, wie der Vater sofort eine neue Frau heiratet.“
Nicholas wurde rot vor Wut:
— „Ich hätte wissen müssen, dass du dich auf Paiges Seite stellst! Donna liebt mich, sie macht mich glücklich – das ist alles, was zählt!“
— „Ich hätte erwartet, dass jemand auf Paiges Seite steht – und ich bin schockiert, dass es nicht ihr Vater ist.“
Nicholas ging verärgert. Eine Woche später brachte er Paige mit einem Lächeln und einem Kuss auf die Stirn vorbei:
— „Ich bin am 27. August zurück“, sagte er.
Aber er kam nie zurück.
Sein Handy war abgeschaltet, seine Wohnung verkauft – er war verschwunden. Jahrelang schrieb Paige ihm Nachrichten. Manchmal antwortete er kurz. Doch bald hörte auch das auf. Doris erkannte, dass ihr Sohn sie und seine Tochter einfach im Stich gelassen hatte.
Sie setzte sich mit Paige hin und sagte:
— „Wir schaffen das, nur du und ich. Mach dir keine Sorgen. Ich liebe dich, Paige. Und eines Tages wird dein Vater bereuen, was er getan hat.“
Sie sollte recht behalten.
Zehn Jahre später fuhr Nicholas zur alten Adresse seiner Mutter. Das Haus war verlassen, der Garten überwuchert. Die Fenster waren mit Brettern vernagelt. Er klopfte bei der Nachbarin. Sie war entsetzt, ihn zu sehen, und sagte kalt:
— „Paige ist verheiratet. Doris lebt bei ihr. Aber erwarten Sie nicht, wie der verlorene Sohn empfangen zu werden. Nach dem, was Sie ihnen angetan haben, würde ich an Ihrer Stelle nichts Gutes erwarten.“
Nicholas ignorierte die Warnung und fuhr zur neuen Adresse. Zu seinem Erstaunen war es eine große, elegante Villa. Er klingelte. Eine Haushälterin öffnete.
— „Ich möchte Doris oder Paige Dakkar sprechen“, sagte er.
— „Meinen Sie Frau Dakkar oder Frau Henderson?“, fragte die Haushälterin spöttisch und führte ihn in einen prachtvollen Salon.
Kurze Zeit später kam Paige herein. Sie sah ihn ruhig und ohne Überraschung an – offenbar hatte die Nachbarin sie gewarnt.
— „Paige, mein Schatz…“, sagte Nicholas.
— „Was willst du, Vater?“, fragte sie kühl.
— „Ich wollte euch sehen, dich und Oma Doris… Ich habe euch vermisst.“
In dem Moment betrat Doris den Raum:
— „Nicholas. Was willst du?“
— „Ich wollte meine Familie wiedersehen. Ich hatte auf einen herzlichen Empfang gehofft.“
— „Du hast uns verlassen, als wir dich am meisten brauchten“, sagte Paige eiskalt. „Und erwartest jetzt Herzlichkeit?“
— „Donna… sie hat mich gedrängt, sie drohte, mich zu verlassen…“, stammelte er.
— „Ach, und jetzt bist du allein? Heißt das, das Geld ist alle – und Donna auch?“, fragte Doris spöttisch.
— „Ich bin arbeitslos… Ich dachte, ihr könntet mir helfen…“
Paige ging zu einem antiken Schreibtisch, holte einen Schlüsselbund und einen Umschlag:
— „Hier sind die Schlüssel zum alten Haus. Im Umschlag sind 5.000 Dollar. Mehr bekommst du nicht – also komm nicht zurück.“
Dann nahm sie Doris am Arm und verließ mit ihr den Raum. Die Haushälterin kam sofort und geleitete Nicholas zur Tür, bevor er irgendetwas stehlen konnte.
Nicholas setzte sich ins Auto, schaute zur Villa und begann zu weinen.
— „Ich habe getan, was ich tun musste“, schrie er. „Warum versteht mich niemand? Es gibt keine Dankbarkeit mehr auf dieser Welt…“
Doch die Wahrheit war: Wer seine Familie verlässt, darf nicht erwarten, später noch Teil von ihr zu sein.
