Ich hätte nie gedacht, dass ich Jahre nach der Schulzeit meinem ehemaligen Lehrer wieder über den Weg laufen würde – schon gar nicht auf einem belebten Bauernmarkt. Doch plötzlich hörte ich meinen Namen – und dort stand er. Dieser Moment veränderte mein Leben auf eine Weise, die ich mir nie hätte vorstellen können.
Als ich noch zur Schule ging, war Herr Harper der beliebteste Lehrer: jung, charismatisch, witzig – und, na ja, ziemlich gut aussehend.
„Claire, tolle Analyse zur Unabhängigkeitserklärung“, sagte er mir einmal nach dem Unterricht. „Du hast einen scharfen Verstand. Schon mal an ein Jurastudium gedacht?“
Ich erinnere mich, dass ich verlegen mit den Schultern zuckte. „Ich weiß nicht … vielleicht? Geschichte ist einfach … leichter als Mathe.“
Das Leben ging schnell weiter. Ich machte meinen Abschluss, zog in die Großstadt und ließ meine Schulzeit hinter mir – oder so dachte ich.
Mit 24 kehrte ich in meine verschlafene Heimatstadt zurück. Auf dem Bauernmarkt hörte ich plötzlich eine vertraute Stimme:
„Claire? Bist du das?“
Ich drehte mich um – und da stand er. Aber er war nicht mehr „Herr Harper“. Jetzt war er einfach nur Leo.
„Herr Har—ähm, Leo?“ stammelte ich, rot im Gesicht.
„Du musst mich nicht mehr ‚Herr‘ nennen“, sagte er lächelnd.
Wir unterhielten uns wie alte Freunde. Er erzählte mir, dass er immer noch unterrichtete – jetzt allerdings Englisch statt Geschichte. Ich berichtete von meinem Leben in der Stadt: gescheiterte Beziehungen, Jobs, die nicht erfüllten, und meinem Traum, ein kleines Geschäft zu eröffnen.
Beim dritten Abendessen – diesmal in einem gemütlichen Bistro mit Kerzenlicht – wurde klar, dass da mehr war.
„Ich glaube, du benutzt mich nur für kostenlose Geschichtsfakten“, neckte ich ihn, als er die Rechnung bezahlte.
„Erwischt“, sagte er mit einem Grinsen. „Aber ich habe vielleicht auch andere Absichten …“
Ein Jahr später standen wir unter einer großen Eiche im Garten meiner Eltern. Es war eine einfache, intime Hochzeit, voller Lachen, Lichterketten und Liebe.
Es war nicht die Liebesgeschichte, die ich mir als Teenager ausgemalt hatte – aber sie fühlte sich absolut richtig an.
Als am Abend das Haus still wurde und wir endlich allein waren, überraschte Leo mich.
„Ich habe etwas für dich“, sagte er.
Ich zog die Augenbraue hoch. „Ein Geschenk? Noch eins nach der Hochzeit? Mutig.“
„Ich dachte, es würde dir gefallen.“
Er überreichte mir ein kleines Paket. Als ich es öffnete, erkannte ich sofort meine Handschrift.
„Moment … ist das mein alter Traum-Tagebuch?“
„Den hast du in meinem Geschichtsunterricht geschrieben, erinnerst du dich? Die Aufgabe, eure Zukunft zu beschreiben.“
Ich blätterte durch die Seiten – Träume aus meiner Jugend: ein eigenes Geschäft, eine Reise nach Paris, etwas bewegen.
Ich sah ihn an, mein Hals schnürte sich zu. „Glaubst du wirklich, dass ich das alles schaffen kann?“
Er legte seine Hand auf meine. „Ich glaube es nicht – ich weiß es. Und ich werde bei jedem Schritt an deiner Seite sein.“
In den nächsten Monaten setzte ich meinen Traum um.
Ich kündigte meinen alten Bürojob und begann mit den Plänen für ein Café mit Buchhandlung – etwas, das ich mir jahrelang im Stillen gewünscht hatte.
„Denkst du, jemand wird hier überhaupt reinkommen?“ fragte ich Leo, während wir gemeinsam die Wände strichen.
Er lehnte sich an die Leiter und grinste: „Ein Ort, an dem es nach Büchern und Kaffee riecht? Die Leute werden Schlange stehen.“
Und er hatte recht. Als wir eröffneten, wurde es mehr als nur ein Geschäft – es wurde ein Herzstück unserer kleinen Gemeinde.
Und alles begann mit einem alten Tagebuch … und einem Lehrer, der nie aufgehört hatte, an mich zu glauben.